Nach drei Monaten intensiver Klimaschutzdiskussion bleibt Ernüchterung: Nirgendwo in Europa wurde so vehement über die Notwendigkeit von konkreten Maßnahmen verlautbart wie in Deutschland. Politik und Wirtschaft stellten sich verbal an die Spitze der Umweltschutzbewegung, aber ihre Ankündigungen haben eine Halbwertszeit von wenigen Tagen. Beliebtes Muster: je ferner die Jahreszahl, desto mutiger die Forderung.
Auch in anderen europäischen Staaten wurde in den vergangenen Monaten und Jahren über den Klimaschutz debattiert. Aber es wurde dort – im Gegensatz zu Deutschland – auch gehandelt. Während die Bilanz in Deutschland deprimierend ausfällt, Beschlüsse finden bisher nicht statt, schaffen andere EU-Staaten Anreize zur Produktion und zum Kauf klimaverträglicherer Autos durch eine Mischung von steuerlichen Anreizen und ausgezahlten Zuschüssen für besonders verbrauchsarme Pkw einerseits und hohen Strafsteuern für Klimakiller andererseits:
– Belgien gewährt beim Kauf von besonders verbrauchsgünstigen
Pkw bis zu 4.270 EUR Steuervorteil.
– In Frankreich gilt für Firmenwagen eine mit dem CO2-Ausstoß
überproportional ansteigende Steuer. So kostet ein Toyota Prius
mit 104 g CO2/km ganze 208 Euro, ein Porsche Cayenne Turbo
mit 358 g CO2/km aber 6.802 EUR
– In den Niederlanden werden Hybrid-Pkw mit bis zu 6.000 EUR
subventioniert und Fahrzeuge mit einem erhöhten CO2-Ausstoß
mit einer Strafsteuer belegt
– In Portugal hat die CO2-bezogene Zulassungssteuer für Pkw mit zu
den europaweit niedrigsten CO2-Werten bei Pkw-Neuwagen geführt.
Ein Renault Twingo 1,2 mit 118 g CO2/km kostet 48,38 EUR, ein VW
Touareg V10 TDI mit 333 g CO2/km hingegen mit 11.388,60 EUR mehr als
das 200-fache.
Ähnlich wirksame Instrumente hat die deutsche Automobilindustrie hierzulande regelmäßig erfolgreich verhindert. Auch die derzeit diskutierte Umstellung der hubraumbezogenen Kfz-Steuer auf CO2-Basis droht zu einem Rohrkrepierer für den Klimaschutz zu werden: Das augenblicklich diskutierte Modell mit einem linearen Verlauf der Steuer führt zu keiner wirksamen Lenkungswirkung. Bei vielen Motoren mit großem Hubraum führt es sogar zu einer Senkung der Kfz-Steuer gegenüber heute.
Die Deutsche Umwelthilfe zieht daraus den Schluss, dass die verbindlichen Klimaschutz-Zusagen der Automobilindustrie gegenüber der Europäischen Union für 2008 ohne Hilfestellung von außen nicht erreicht werden. Die DUH hat deshalb in den vergangenen Wochen einen „Marshallplan“ für die deutsche Automobilindustrie erarbeitet, mit dem die Branche sofort und in ungewohnter Weise beschleunigen kann: In Richtung Sprit-Effizienz.
Mit einer Reihe erprobter und im In- und Ausland bewährter rechtlicher Instrumente und Finanzanreize für den Verbraucher, mit „kreativen Aktionen“ und schließlich einer aussagekräftigen Kennzeichnung von Spritfressern will die DUH ihren Beitrag zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit und langfristigen Wirtschaftskraft deutscher Autobauer leisten. Der „Marshallplan“ soll den Autobauern ermöglichen, ihre Zusagen einzuhalten und gleichzeitig den Herausforderungen des künftigen Weltmarkts gerecht zu werden. Ein ehrgeiziges Ziel ist zu erreichen: Um 32,5 g ist der durchschnittliche Ausstoß an CO2 pro km der in Deutschland neu zugelassenen Pkw bis Ende 2008 zu senken.
Die zentralen Elemente des „Marshallplans“ sind:
II Unmittelbar durch die DUH durchgeführte Maßnahmen
– Verbraucherkampagne für den Kauf effizienter Pkw (Kleinwagen < 120
g CO2/km, Mittelklasse <140 g CO2/km, Oberklasse und
Familienfahrzeuge < 160 g CO2/km) – intensive Autokaufberatung
zusätzlich durch den Verkehrsclub Deutschland (VCD), Start der
Aktion unmittelbar nach Ostern.
– Bundesweite Kennzeichnung von SUVs und anderen vorsintflutlichen
Pkw mit dem Aufkleber „Ich bin ein Klimakiller“. Diese Aktion
richtet sich an alle Umweltgruppen und engagierte Bürger mit
Internetzugang. (Download des Aufklebers unter www.duh.de zur
Kennzeichnung von SUVs und sonstigen Pkw über 210 g CO2/km). Die
DUH weist ausdrücklich darauf hin, dass keinesfalls diese Aufkleber
ohne Zustimmung der Fahrzeughalter angebracht werden dürfen. Sie
müssen vorher selbstverständlich freundlich gefragt werden, ob sie
mit der Kennzeichnung einverstanden sind.
– Klimafreundliche Beschaffungsrichtlinien für den Kauf von Firmen-
bzw. Dienstfahrzeugen – die DUH wendet sich in diesem Frühjahr an
alle Kommunen, Landes- und Bundesverwaltungen sowie an über 3.000
Firmen. Aufforderung und Hilfestellung, bei Neuanschaffungen im
Schnitt unter 140 g CO2/km zu bleiben und keinesfalls Pkw über 210
g CO2/km zu kaufen oder zu leasen, Veröffentlichung der besten
Beispiele im Internet.
– Warnung vor Pkw mit falschen Verbrauchsangaben – die DUH stellt
vermehrt fest, dass die tatsächlichen Spritverbräuche oft um bis zu
40% über den offiziell angegebenen liegen. In der Vergangenheit
waren dafür u.a. Manipulationen in der Motorenelektronik
verantwortlich, d.h. das Fahrzeug hat z. B. erkannt, wenn es auf
einem Prüfstand getestet wurde.
– Intensivierung der Überwachung und Verfolgung von Verstößen bei der
Kraftstoffverbrauchs-Kennzeichnung. Nach wie vor weigern sich viele
Fahrzeughersteller, die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben in
ihrer Werbung zu machen. Die DUH wird ihre Überprüfung und ggf.
Verfolgung von Verstößen vor Gericht intensivieren.
– Forderung von Rückrufaktionen zu den Pkw-Modellen, die außerhalb
des Testzyklus extreme Anstiege der CO2-Emissionen und sonstiger
Abgas-Emissionen aufweisen, wie z. B. beim PT Cruiser von Chrysler.
– Fortschreibung der Dienstwagentabelle deutscher Bundes-, Landes-
und Kommunalpolitiker. Erfreulicherweise kündigen immer mehr
Politiker an, dem Beispiel von EU-Umweltkommissar Stavros Dimas
bzw. des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer zu folgen. Wir
werden über die TOPs und FLOPs regelmäßig berichten.
III Von der Politik zu treffende Maßnahmen
Es kann nicht sein, dass keine wirksamen Maßnahmen seitens der
verantwortlichen Bundes- und Landesregierungen getroffen werden, um
den deutschen Autobauern das Erreichen ihrer Zusage zu ermöglichen.
Dies wäre eine Form „unterlassener Hilfeleistung“. In der Medizin ist
dieses zu Recht strafbar:
– Beendigung der absurden Subventionierung von Pkw mit bis zu 49%
des Kaufpreises, unabhängig vom CO2-Ausstoß. So gewährt der
Finanzminister beim Kauf eines BMW der 7er Baureihe mit 330 g
CO2/km eine Subvention von 61.000 EUR (Kaufpreis 125.000 EUR).
Kein Wunder, dass derzeit gerade die übermotorisierten Limousinen
und SUVs fast ausschließlich als Dienst- und Firmenwagen
angeschafft werden.
– Umstellung der Kfz-Steuer auf Abgasstufen und CO2, Schaffung von
finanziellen Anreizen für Pkw mit besonders niedrigen CO2-Werten,
starker Anstieg der Kfz-Steuer bei Fahrzeugen oberhalb von 140 g
CO2/km, zusätzlicher überproportionaler Anstieg der
Strafbesteuerung oberhalb von 210 g CO2/km.
– Generelles Werbeverbot für alle klimaschädlichen Pkw in Anzeigen
und TV-Spots nach dem Muster des Zigarettenwerbeverbots. Die DUH
schlägt vor, für alle Pkw mit Werten von über 210 g CO2/km ein
Werbeverbot auszusprechen.
– Umstellung der Verbrauchskennzeichnung auf Effizienzklassen nach
dem Muster der Haushaltsgroßgeräte. Nach einer Ankündigung von
Verkehrsminister Tiefensee im Februar 2007 scheint derzeit niemand
in den dafür zuständigen Bundesministerien ernsthaft an dieser
bereits seit Jahren von der DUH geforderten verbraucherfreundlichen
Kennzeichnung zu arbeiten.
– Ersatz der derzeitigen Klimaanlagen durch effizientere Technik mit
CO2 als Kältemittel, z. B. durch eine verbindliche Vereinbarung mit
der deutschen Automobilindustrie. Das Treibhauspotenzial von CO2
als Kältemittel ist um den Faktor 1.420 niedriger als das des
heutigen, klimaschädlichen Kältemittels R134a.
– Einführung eines allgemeinen Tempolimits von 120 km/h auf Autobahnen
Ein Tempolimit in Deutschland wird neben weniger Unfalltoten und
dem direkten Klimaeffekt zu einer veränderten Modellpolitik mit
weniger leistungsstarken und damit weniger spritdurstigeren Motoren
und leichteren Fahrzeugen führen. („Deutsche Umwelthilfe e.V.“)